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Sarlat, Place de la Liberté
Sarlat
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Sarlat – eine komplett erhaltene mittelalterliche Stadt

Ein Ort mit ungefähr 9.000 Einwohnern und 2 Millionen Besuchern pro Jahr muss wohl entweder sehr schön, sehr interessant, oder sehr alt sein. Stonehenge – zum Vergleich – hat z. B. um die 1,4 Millionen Besucher im Jahr. Die Höhlen von Lascaux etwa ein Sechstel davon (250.000 Besucher / Jahr); die schottische Insel Skye etwa 650.000, oder Island: ca. 2,2 Millionen.
Aber hier geht es um die Hauptstadt des Périgord Noir, das Städtchen Sarlat. Es liegt an keinem berühmten Fluss (wie Bergerac, oder Perigueux) – eher an einem Bach (die Cuze), es hat selbst kein berühmtes Château oder „maison forte“, kein bedeutendes Museum. Nein, Sarlat wirkt einfach selbst wie ein gewaltiges Museum: wegen der außergewöhnlichen Schönheit seiner gesamten historischen Innenstadt.

Fast alle Gebäude stammen aus dem Mittelalter oder der Renaissance (13. bis 16. Jahrhundert), die meisten der hohen Häuser sind aus gold-gelbem Gestein, einige auch mit schönem Fachwerk. Die Bausubstanz ist fast überall schön renoviert, intakt und erhalten. Ungewöhnlich viele Plätze, Straßen und enge verwinkelte Gassen sind reine Fußgängerzonen; es gibt nicht viel Autoverkehr.

Es gibt sehr viele „Hôtels“ im Sinne von prächtigen Herrenhäusern oder Palästen, in denen die großen alten Familien Sarlats residierten – Wohnsitze von Konsulen, Klerikern, Adeligen, von Kaufleuten, Dichtern und Juristen. Sie heißen z.B. Hôtel de Grèzel, Hôtel de Dautrerie, de Salignac, d‘Aillac oder Hôtel de Vienne; mit Wasserspeiern, Türmchen, Säulen, steinernen Fensterkreuzen, vornehmen Portalen und hohen Schiefer- oder Kalksteindächern. Eines davon kann man besuchen: das gepflegte „Manoir de Gisson“ mit den hochherrschaftlich eingerichteten Räumlichkeiten einer adeligen Familie aus dem 17. Jahrhundert.

Die wuchtige mächtige Kathedrale Saint Sacerbos wurde vom 12. bis zum 17. Jahrhundert erbaut. Sie besitzt eine der am besten erhaltenen Lépine-Orgeln (von 1752) und hat einen eigenartigen raketenförmigen dunklen Turm, die „Totenlaterne“, die etwas mit dem Pestausbruch von 1147 zu tun hat.

Sarlat wurde im 100jährigen Krieg (1337-1453) fast zur Hälfte zerstört und wieder aufgebaut; es hat die Religionskriege (1562-1598), die Fronde-Bürgerkriege (1648-1653) und andere Konflikte durchgestanden, außerdem zahlreiche Pestepidemien erlebt. Ab der Revolution, ab etwa 1800, nahm die Bedeutung der Stadt kontinuierlich ab.

Vielen anderen historischen Stadtgebieten Frankreichs wurde nach einer ähnlich ruhmreichen, bewegten Vergangenheit in den Jahrzehnten nach 1945 der Garaus gemacht – um des Fortschritts willen. Alte Quartiere mussten weichen; sie waren zu dunkel, komplex, angegriffen und zu unübersichtlich, um Neues darauf aufzubauen. Obwohl vieles unternommen wurde, drohte dieses Schicksal auch Sarlat; man sieht das auf alten Fotos von 1960 und davor an den beschädigten Fassaden, brüchigen Balken oder vernagelten Fenstern. Letztendlich gab ein neuartiges, städtebauliches Gesetz, das Malraux-Gesetz oder „loi Malraux“ (1962), den Ausschlag zur Rettung und „Wiedergeburt“ des Stadtkernes von Sarlat. Es erlaubte, ein ganzes Stadtviertel zu einem „Schutzgebiet“ zu erklären, um es in einem mehrjährigen, exakt durchgeplanten Langzeitprojekt zusammenhängend wiederherzustellen und zu erneuern. Nicht nur das historische und architektonische Erbe sollte gesichert, sondern auch Wirtschaftsleben und sozialer Sektor sollten entwickelt und modernisiert werden. Schaffung von mehr Wohnungen bis ins Dachgeschoss, Geschäfte anstatt Lagerkammern, öffentlichen Räume für eine lebendige Nachbarschaft. Das fand ab 1964 in Sarlat statt, es war das allererste „Pilotprojekt“ im Rahmen dieses Malraux-Gesetzes.

Sainte Marie mit den Toren von Jean Nouvel
Sainte Marie mit den Toren von Jean Nouvel

Eigentlich ist Sarlat auch eine Spezialitäten-Hauptstadt. Alle Delikatessen, die es im Périgord gibt – (Walnuss)öle, Trüffelprodukte („schwarze Diamanten“), alles was mit Foie Gras zusammenhängt, Confits, Weine und Liköre… – werden in konzentrierter Vielfalt in sehr schönen Geschäften angeboten. Mittwochs und samstags boomen die Wochenmärkte. Ganz berühmt ist der Trüffelmarkt, samstags von November bis Februar, oder das jährliche Fest der Trüffel mit Workshops Mitte Januar. Berühmt ist auch die Kirche Sainte Marie: erstens weil sich seit dem Jahr 2000 eine große Markthalle in ihr befindet; zweitens wegen der 15 Meter hohen Stahltüren zu dieser Markthalle vom Architekten Jean Nouvel, der seine Jugend in Sarlat verbracht hat; und drittens wegen des modernen gläsernen Panorama-Aufzuges, mit dem man im Turm von Sainte Marie 35 Meter nach oben fahren kann. Es gibt das jährliche Theaterfestival, das Filmfestival (im November!), viele andere Festivals und den Weihnachtsmarkt fast den gesamten Dezember über. Viele (historische) Filme wurden im authentischen Ambiente Sarlats gedreht. Es wimmelt vor Besuchern, und auch in der Nebensaison ist etwas los. Sarlat ist eine Geschäftsstadt, steht an erster Stelle im Fremdenverkehr und hat auch Industrie.

André Malraux (der damalige Kultusminister) war nicht nur gegen die Zerstörung alter Stadtviertel, sondern auch gegen isolierte Objekte unter Denkmalschutz. Er hat 1962 gesagt, dass „…die Seele dieser Vergangenheit nicht nur aus Meisterwerken besteht, dass in der Architektur ein isoliertes Meisterwerk Gefahr läuft, ein totes Meisterwerk zu sein“. Aber in Sarlat gibt es keine solchen toten Meisterwerke. Vielleicht fühlt man sich hier manchmal wie in alten Zeiten, aber Sarlat ist sehr lebendig.

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